100-jähriger Kalender kündigt Hitze-Sommer für den November an“ – Wie verlässlich sind die Bauernregeln fürs Klima der Schweiz?
Die Aussage klingt spektakulär: Im Medienbericht heißt es, der sogenannte Hundertjährige Kalender prognostiziere einen ungewöhnlich warmen Sommer im November für europäische Regionen – demnach auch für die Schweiz. Für ein Portal zur nachhaltigen Schweiz-Berichterstattung wirft dies spannende Fragen auf: Welche Bedeutung haben solche Kalendervorhersagen heute, wie zuverlässig sind sie, und was macht das für unsere Klima- und Energiediskussion?
Was ist der „Hundertjährige Kalender“?
Der Hundertjährige Kalender geht auf den deutschen Abt Mauritius Knauer (17. Jahrhundert) zurück und folgt einem siebenjährigen Zyklus der Planetenstellungen. ▸ Er ist keine wissenschaftliche Wetterprognose im heutigen Sinne, sondern eher eine historische Wetter- und Bauernregeltradition.
Trotz fehlender wissenschaftlicher Grundlage findet er Beachtung – vor allem in Verbrauchermedien, die markante Wetterüberschriften daraus generieren.
Die Behauptung: „Hitze-Sommer im November“
Ein aktueller Artikel deutet an, der Kalender verfüge über eine Vorhersage, die für den November „einen Sommer im Miniaturformat“ andeute – sprich: ungewöhnlich milde, sonnige oder gar hitzeähnliche Tage im November. Der Begriff „Martini-Sommer“ (nach dem Gedenktag St. Martini am 11. November) fällt dabei.
Solche Vorhersagen gehen über klassische Bauernregeln hinaus – sie suggerieren eine signifikante Abweichung vom Klimamittel.
Wie sieht es in der Schweiz aus?
- Laut MeteoSchweiz und internationalen Klimastudien war der November 2024 in der Schweiz mit ca. +1,1 °C über der Normalperiode bereits deutlich zu warm.
- Eine vorhergesagte „Hitzewelle“ im klassischen Sinne (mehrere Tropentage, dauerhaft über 25 °C) ist im Schweizer November extrem unwahrscheinlich – laut Messdaten fehlen bisher entsprechende Ereignisse.
- Für eine nachhaltige Energie- und Mobilitätsstrategie allerdings ist eine verlängerte Wärme- oder Sonnenperiode im Spätherbst durchaus relevant: geringere Heizkosten, längere Solarproduktion oder verlängerte Aufenthaltszeiten im Freien.
Bewertung: Wissenschaft vs. Bauernregel
| Aspekt | Bewertung |
|---|---|
| Wissenschaftliche Basis | Sehr schwach. Der Kalender operiert mit Planetenkonstellationen und Zyklen, ohne Meteorologie oder Klimamodellierung. |
| Praktische Relevanz | Für allgemeine Orientierung vielleicht unterhaltsam – aber keine Planungsgrundlage für Energie, Landwirtschaft oder Bauwesen. |
| Nachhaltigkeit & Energie | Eine milde Spätherbstperiode kann Energie- und Mobilitätsmuster beeinflussen: z. B. weniger Heizenergie, längere Solarproduktion. Doch diese Auswirkungen kommen eher durch Klimatrends als durch alte Kalender-Vorhersagen. |
| Risiken bei Überschätzung | Wenn Verbraucher:innen Wetter- oder Energiewahlentscheidungen treffen (z. B. “Wir brauchen keine Heizungsumrüstung”), basierend auf unzuverlässigen Prognosen, entsteht Risiko von Fehlentscheidungen. |
Handlungsempfehlungen für die Schweiz
- Nicht stur auf Bauernregel verlassen: Bei Planung von Photovoltaik-Kapazitäten, Heizsystem-Umbauten oder Mobilitätslösungen zählt die Klimamittel-und Prognoselage, nicht historische Kalenderzyklen.
- Spätherbst-Effekte nutzen: Wenn November mild und sonnig wird, kann das ein Vorteil sein – z. B. längere Solarerträge, weniger Aufwand beim Heizen. Diese Möglichkeit sollten Energieberater und Hausbesitzer im Blick haben.
- Langfristige Trends beobachten: Die Schweiz ist zunehmend von milden Herbst- und Winteranfängen betroffen. Energie- und Mobilitätskonzepte sollten auf Flexibilität ausgelegt sein, nicht auf Extremvorhersagen.
- Kommunikation stärken: In Medien und Öffentlichkeit sollten Hinweise zur begrenzten Verlässlichkeit von Bauernregeln konsequent gemacht werden – um Fehlinterpretationen zu vermeiden.
Fazit
Der Hundertjährige Kalender und seine Prognose eines „Hitze-Sommer(s) im November“ machen medienwirksam Eindruck – sind aber aus wissenschaftlicher Sicht kaum belastbar. Für die Schweiz bedeutet das: Die Idee einer verlängerten milden Periode im Spätherbst ist nicht ausgeschlossen – aber nicht sicher vorhergesagt durch solche traditionellen Kalender.
In der Nachhaltigkeits-, Energie- und Mobilitätsstrategie gilt: Setze auf Klimatrends und fundierte Messwerte, nicht auf Kalenderfolklore. Dennoch kann eine milde Spätherbst-Periode sinnvoll genutzt werden – etwa zur Optimierung von Solar- oder Heizsystemen.
Warm(er)er November in der Schweiz – was sagen die Daten?
1) Basis & Vergleichszeitraum
- Klimatische Vergleiche erfolgen gegen die aktuelle WMO-Normalperiode 1991–2020. MeteoSchweiz stellt dafür Monats- und Jahresnormen sowie Abweichungskarten bereit.
2) Trend: November wird häufiger zu warm
- Die Jahresmitteltemperatur der Schweiz ist seit 1864 um rund +2 °C gestiegen; der Trend ist in allen Landesteilen signifikant. Das wirkt sich auch auf die Übergangsjahreszeiten aus – Novembermonate liegen heute deutlich öfter über den Normen als vor wenigen Jahrzehnten.
- Für 2024 dokumentiert MeteoSchweiz im Klimabulletin November eine anhaltende Hochdrucklage mit ungewöhnlich viel Sonnenschein und den Befund: Im „aktuellen Klima“ (gegenüber 1871–1900) ist der November im Schnitt um ~+2,5 °C wärmer. Das unterstreicht den strukturellen Warmtrend dieser Monatsperiode.
- Internationaler Kontext: November 2024 war global der zweitwärmste in den Aufzeichnungen; 2024 insgesamt wurde – nach damaligem Stand – als wärmstes Jahr global erwartet. Solche Groß-Skalen-Anomalien erhöhen die Wahrscheinlichkeit überdurchschnittlich warmer Monate auch in der Schweiz.
3) Wie oft war der November in den letzten ~30 Jahren warm?
Eine exakte Zählung einzelner Monate benötigt die Stationsreihen/Anomalietabellen je November. MeteoSchweiz bietet dafür:
- Monatliche Anomaliekarten (Temperaturabweichungen gegenüber 1991–2020) und
- das Tool „Swiss temperature mean“ (Monatswerte seit 1864).
Damit lässt sich für die letzten 30 Jahre (≈ 1995–2024) nachvollziehen, dass ein Großteil der Novembermonate positive Abweichungen gegenüber 1991–2020 aufweist – insbesondere in den 2010er/2020er-Jahren. (Die Karten/Dateien können für eine genaue Häufigkeitszählung heruntergeladen und ausgewertet werden.)
Einordnung statt Zahlenspiel:
- Der Trend (wärmeres Grundklima, mehr Hochdruckphasen mit viel Sonne im Spätherbst) ist klar belegt.
- Einzelne kalte November kommen weiterhin vor, aber die Wahrscheinlichkeit für übernormale November hat sich deutlich erhöht – im Einklang mit der Gesamt-Erwärmung.
4) Was heißt das für Kommunikation & Planung in der Schweiz?
a) Wetter-Mythen vs. Daten:
Aussagen wie „Hundertjähriger Kalender sagt Mini-Sommer“ sind unterhaltsam, aber wissenschaftlich nicht belastbar. Für Öffentlichkeit und Medien gilt: Auf MeteoSchweiz-Daten/Normals referenzieren, nicht auf Bauernkalender.
b) Energie & Gebäude:
- Längere milde Phasen im November reduzieren Heizgradtage → geringere Heizlast; gleichzeitig profitiert PV von Hochdruck-Sonnenschein (mehr Winter-Ertrag als erwartet).
- Für Wirtschaftlichkeitsrechnungen (Wärmepumpe, PV+Speicher) empfiehlt sich die Nutzung der Normals 1991–2020 plus Szenario-Informationen aus den CH-Klimaszenarien (mehr milde Herbsttage, aber auch mehr Extremereignisse).
c) Mobilität & Infrastruktur:
- Mildere, trockenere November erhöhen Rad-/ÖV-Nutzungspotenzial gegenüber „klassisch“ nassen, kalten Spätherbsten – kommunal nutzbar für Saisonverlängerung von Pop-up-Radwegen, Sharing-Angeboten etc.
d) Risiko-Management:
- Hochdruck-Novembers mit Inversion bringen Feinstaub-/NOx-Probleme in Ballungsräumen (Stagnation).
- Trotz Wärme-Trend bleiben Kälte-Events möglich → Versorgung/Sozialdienste auf Temperatur-Volatilität ausrichten.
5) Was wir für dich liefern können
Wenn du möchtest, ziehe ich die MeteoSchweiz-Monatsreihen (Swiss temperature mean) und zähle für 1995–2024, in wie vielen Novembers die Temperatur über der 1991–2020-Norm lag – plus Grafiken (Anomalie-Balken, Anteil über/unter Norm). Grundlage wären:
- Swiss temperature mean (Monatswerte) und
- Normals 1991–2020 (PDF/Stations- oder Gridnormen).
Kurzfazit
- Der November in der Schweiz zeigt seit Jahrzehnten einen klaren Erwärmungstrend; warme November sind heute deutlich wahrscheinlicher als früher.
- MeteoSchweiz-Daten (Normals, Monatskarten, Bulletins) sind die Referenz – nicht historische Kalender.
- Für Energie- und Klimakommunikation: milde Spätherbste aktiv nutzen (PV/Heizlast), zugleich auf Luftqualitäts- und Extremwetter-Risiken achten.

