Der Wettlauf um den digitalen Franken: Revolution oder Risiko?

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Analyse- und Meinungsartikel zum Thema des digitalen Franken (CBDC / Stablecoin-Modelle) — mit einem kritischen Blick auch auf Nachhaltigkeit, politische Risiken, sozioökonomische Konsequenzen und technologische Herausforderungen.


Der Wettlauf um den digitalen Franken: Revolution oder Risiko?

Der Artikel „Der Wettlauf um den digitalen Franken nimmt Fahrt auf“ aus der Handelszeitung spricht ein Thema an, das zunehmend auf der Agenda von Zentralbanken und Finanzakteuren weltweit steht: die Einführung eines digitalen Franken bzw. eines digitalen Zentralbankgeldes (CBDC, Central Bank Digital Currency) für die Schweiz. (Handelszeitung)

Seit die USA eine Regulierung von Stablecoins beschlossen haben, wächst der internationale Druck auf Staaten, selbst digitale Versionen ihrer Währungen zu schaffen. Die Schweiz will nun mitziehen — doch zahlreiche Hürden bleiben offen.

Im Folgenden will ich aus kritischer Perspektive beleuchten, welche Chancen, aber vor allem welche Gefahren und unbeachteten Aspekte mit einem digitalen Franken einhergehen — insbesondere im Hinblick auf Nachhaltigkeit, Souveränität, ökologischen Fußabdruck, technologische Risiken und gesellschaftliche Auswirkungen.


Status quo: Wo steht die Schweiz?

Projekt Helvetia und Wholesale-CBDC

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) und der Finanzmarktinfrastrukturbetreiber SIX Digital Exchange (SDX) betreiben das Pilotprojekt Helvetia, in dem Wholesale-CBDC (also digitaler Franken, der nur für Finanzinstitute und nicht direkt für Privatpersonen verfügbar ist) getestet wird. (SNB)

In dieser Form werden tokenisierte Vermögenswerte und das digitale Zentralbankgeld auf derselben Infrastruktur gehandhabt, was eine Lieferung-gegen-Zahlung (Delivery-versus-Payment) direkt ermöglichen soll. (SNB)

Zuletzt wurde ein Pilotprojekt gestartet, bei dem Banken digitale CHF-Anleihen emittieren und mit digitalem Zentralbankgeld abwickeln konnten. (SIX)

Doch all dies bleibt zunächst im institutionellen Rahmen — der Schritt zur öffentlichen (Retail-CBDC) Variante, mit der jeder Bürger direkt digitales Zentralbankgeld verwenden könnte, ist noch nicht vollzogen.

Stablecoins und private Initiativen

Parallel dazu gibt es im Privatsektor Bestrebungen, regulierte Stablecoins zu etablieren, die an den Franken gekoppelt sind. Ein Beispiel ist die Swiss Stablecoin AG, mit dem Ziel, einen Digitalfranken (CHFD) als regulierten Stablecoin breit zugänglich zu machen. (Swiss Stablecoin AG)

Solche Modelle konkurrieren mit dem staatlichen Ansatz — und bringen zusätzliche Risiken mit sich, etwa in Bezug auf Governance, Vertrauen, Reserven und Stabilität.

Begeisterung & Hoffnung

Für manche Akteure (z. B. Finanzplatz, Banken, Technologieanbieter) birgt der digitale Franken enorme Chancen:

  • Effizientere Abwicklungsmethoden, reduzierte Kosten, schnellere Settlement-Prozesse
  • Innovationsschub im Finanzsektor, neue Tokenisierungsmodelle
  • Wettbewerbsvorteil für den internationalen Finanzplatz Schweiz
  • Bessere Integration von Kapitalmärkten mit Zahlungssystemen

Doch diese Hoffnungen dürfen nicht verschleiern, dass Technik und Wirtschaft nur ein Teil des Bilds sind. Besonders der Aspekt der Nachhaltigkeit und der gesellschaftlichen Folgen ist oft unterbelichtet.


Kritischer Blick auf Nachhaltigkeit & ökologische Implikationen

Ein Thema, das in Diskussionen um digitale Währungen oft zu wenig gewichtet wird, ist ihre ökologische Bilanz — also der Energieverbrauch, Ressourceneinsatz und die langfristigen Folgen für Klima und Umwelt.

Energieverbrauch und Infrastrukturaufwand

Blockchain- und Distributed-Ledger-Technologien (DLT), auf denen CBDC-Modelle oft beruhen, können erhebliche Energieverbräuche verursachen — insbesondere, wenn sie weniger optimiert sind oder Proof-of-Work-Mechanismen nutzen. Auch wenn moderne Ansätze wie Proof-of-Stake oder permissioned DLT-Systeme effizienter sind, bleibt der Unterhalt großer Infrastruktur (Rechenzentren, Netzwerke, Nodes, Redundanzen) nicht energiearm.

Ein digitaler Franken, insbesondere im öffentlichen (Retail-) Bereich, würde vermutlich eine massenhafte Infrastruktur benötigen: Rechenzentren, Sicherheitssysteme, Monitoring, Backup-Systeme und technische Redundanz. Der ökologische Fußabdruck könnte beträchtlich sein, insbesondere wenn die Stromversorgung nicht konsequent aus erneuerbaren Quellen gespeist wird.

Lebenszyklus, Hardware & Elektronikabfall

Nicht nur der Betrieb, sondern auch die Hardware (Server, Netzkomponenten, Speichergeräte) muss berücksichtigt werden: Herstellung, Materialien, Kühlung, Entsorgung — all das verursacht Emissionen und Umweltbelastungen. Je größer und komplexer das System, desto höher der Materialbedarf für Geräte, Ressourcen für Kühlung etc.

Der Lebenszyklus dieser Geräte ist begrenzt — nach einigen Jahren fallen sie als Elektroschrott an. Wenn nicht sorgfältig geplant, können solche Systeme zu einem zusätzlichen Umweltproblem werden.

Diskrepanz zwischen Digitalisierung und Nachhaltigkeit

Viele digitale Projekte preisen sich als „grün“ und „zukunftsfähig“. Doch echte Nachhaltigkeit erfordert, dass man Energieverbrauch, Ressourceneinsatz, Skalierbarkeit und ökologische Externalitäten in die Bewertung mitaufnimmt — nicht nur Nutzenaspekte.

Ein weiteres Risiko: Wenn der digitale Franken als „moderne“ Lösung propagiert wird, gibt es Gefahr, dass man ihn gegen ökologische Bedenken immunisiert und wenig transparente Kompromisse eingeht.


Macht, Kontrolle und Souveränität: Politische Risiken

Digitale Währungen sind mehr als technische Innovation — sie verschieben Machtverhältnisse und beeinflussen, wer Kontrolle über Geld hat.

Zentralisierung vs. Dezentralität

Ein staatlicher digitaler Franken bedeutet, dass die Zentralbank und regulierende Institutionen eine sehr direkte Rolle in der Geldbewegung haben. Jede Transaktion könnte theoretisch nachvollziehbar sein (unter bestimmten gesetzlichen Bedingungen). Das kann zur Kontrolle über Zahlungsströme führen, was Überwachungspotenzial birgt.

Wenn private Stablecoins daneben existieren, entsteht ein konkurrierender Machtbereich, der oft weniger reguliert ist, aber dennoch Einfluss gewinnen kann.

Einfluss auf Geschäftsbanken & Finanzintermediation

Mit einem digitalen Franken könnten Banken einen Teil ihrer traditionellen Rolle im Zahlungsverkehr verlieren. Wenn Bürger oder Unternehmen direkt mit der Zentralbank oder über öffentliche Plattformen bezahlen, sinkt die Abhängigkeit von traditionellen Bankdiensten.

Das kann zu drastischen Umwälzungen führen: Banken, die heute Gebühren und Margen aus Zahlungsdiensten schöpfen, stehen vor Einnahmeverlusten. Sie könnten gezwungen sein, neue Geschäftsmodelle zu finden — oder Lobbying und politischem Druck mehr Gewicht zu verleihen.

Demokratie, Datenschutz & Transparenz

Ein digitales Zentralbankgeld wirft fundamentale Fragen hinsichtlich Datenschutz und Freiheitsrechten auf:

  • In welchem Umfang dürfen Transaktionen überwacht oder geprüft werden?
  • Wer hat Zugang zu Bezahldaten?
  • Wie viele Metadaten (Zeit, Ort, Betrag, Empfänger) werden gespeichert — und wie lange?
  • Welche Kontrollinstanzen gibt es?

Wenn allzu viele Daten über Zahlungsflüsse zentral gespeichert werden, öffnen sich Türen für Missbrauch — bei staatlicher Kontrolle, Hackern oder politischen Interessen. In einem demokratischen Rechtsstaat müssen diese Fragen streng reguliert sein. Doch viele dieser Regime sind technisch schwer umkehrbar.

Fragmentierung & Regulierung

Wenn die Schweiz einen digitalen Franken einführt, aber parallel private Stablecoins ebenfalls etabliert sind, droht ein Flickenteppich von Regelungen, Ausnahmeregelungen und Grauzonen. Wer reguliert welche Emittenten, wer haftet, wer überprüft Reserven?

Außerdem steigt das Risiko, dass der Staat sich in finanzielle Entscheidungsspielräume einmischt — z. B. mit Finanztransaktionssteuern, Abgaben oder Eingriffen in Zahlungsmuster.


Sozioökonomische und gesellschaftliche Auswirkungen

Neben Umwelt und Politik gibt es größere Fragen, wie ein digitaler Franken das tägliche Leben, die Wirtschaft und die soziale Struktur beeinflussen könnte.

Zugang & Gleichheit

Wenn ein digitaler Franken über Apps oder digitale Infrastruktur genutzt wird, müssen alle Menschen im Land Zugang zu Technologie, Geräten, Internet und Vertrauen haben. Für Bevölkerungsgruppen mit geringerer digitaler Kompetenz, ältere Generationen, Randregionen oder Menschen ohne Bankkonten könnten Barrieren bestehen.

Wenn der Übergang nicht inklusiv gestaltet wird, entsteht eine neue Form von digitaler Exklusion.

Monetäre Kontrolle & Negativzinsen

Ein digitales Geldsystem könnte theoretisch erlauben, Negativzinsen direkter und zielgerichteter zu operationalisieren. Die Zentralbank könnte mit digitalen Instrumenten gezielt in Konsum oder Investitionen lenken. Das klingt nach Steuerung, aber birgt Risiken:

  • Nachhaltige Investitionen könnten durch politische Vorgaben bevorzugt oder benachteiligt werden.
  • Menschen könnten unter Druck geraten, ihr Konsumverhalten zu ändern — das kann Freiheitsrechte tangieren.
  • Bei massiver Einführung könnte Vertrauen in Bargeld sinken, was die Geldneutralität und öffentliche Akzeptanz gefährden kann.

Innovation und Disruption

Zwar können neue Finanzmodelle entstehen (z. B. Tokenisierung von Vermögenswerten, Mikrozahlungen, neue Geschäftsmodelle), doch nicht alle sind vorteilhaft oder sozial gerecht. Manche Innovationen können in unregulierte Zonen ausweichen, Risiken für Stabilität erzeugen oder Marktverzerrungen schaffen.

Systemrisiken & technologische Abhängigkeit

Ein digitales Geldnetz ist anfällig: Systemausfälle, Cyberangriffe, technisches Versagen können massive Folgen haben. Wenn Zahlungsinfrastruktur offline ist oder kompromittiert wird, steht das gesamte Wirtschaftssystem still.

Die Abhängigkeit von Technologie, Hardware-Lieferketten, Softwareupdates und Sicherheitsarchitekturen erhöht die Verletzlichkeit — insbesondere in global vernetzten Umgebungen.


Chancen vs. Risiken: Eine bilanzierende Einschätzung

Potenzielle Vorteile (nicht zu negieren)

  • Effizienzgewinne und Modernisierung des Zahlungsverkehrs
  • Beschleunigung von Settlement, Tokenisierung von Vermögenswerten
  • Potenzial für neue Geschäftsmodelle und Finanzinnovationen
  • Stärkung der geldpolitischen Instrumente (unter kontrollierten Rahmenbedingungen)
  • Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Schweiz

Doch diese Vorteile dürfen nicht überwiegen, ohne die Risiken klar zu erkennen.

Risiken und Bedrohungen (mit Gewicht)

  • Ökologischer Fußabdruck und Energieverbrauch
  • Hardware-Lebenszyklen und Elektronikabfall
  • Machtkonzentration bei Zentralbank & Behörden
  • Verlust von Demokratie und Datenschutz
  • Ausschluss und Ungleichheit
  • Technologische Abhängigkeiten und Systemrisiken
  • Potenzielle negative Auswirkungen auf Geschäftsbanken

Angesichts dieser Risiken plädiere ich dafür, dass eine Einführung eines digitalen Franken nur unter klaren Grenzbedingungen, strenger Regulierung, technischer Transparenz und nachhaltiger Ausrichtung erfolgen darf — und nur, wenn zwingende gesellschaftliche Vorteile nachgewiesen werden.


Wege zu einem verantwortungsvollen digitalen Franken

Wenn die Schweiz diesen Weg einschlägt, sollte sie folgende Prinzipien beherzigen:

  1. Nachhaltigkeit als Kernanforderung
    Der Betrieb muss möglichst energieeffizient sein, idealerweise unter Verwendung erneuerbarer Energien. Der ökologische Lebenszyklus (Hardware, Kühlung, Abfall) muss berücksichtigt werden.
  2. Transparenz und Datenschutz by Design
    Systeme so gestalten, dass Daten minimal, pseudonymisiert und nur bei legitimem Interesse verfügbar sind. Kontrolle durch unabhängige Instanzen.
  3. Progressive Einführung – zuerst institutionell, später für Bürger
    Der Wholesale-Ansatz (nur Finanzinstitute) ist ein vernünftiger Zwischenschritt. Erst wenn Erfahrungen gesammelt und Risiken adressiert sind, kann eine Retail-Version folgen.
  4. Interoperabilität & klare Regelung privater Stablecoins
    Staaten und private Anbieter müssen harmonisiert reguliert werden, um Fragmentierung und Verwässerung zu vermeiden.
  5. Inklusives Design & Zugang für Alle
    Technische Lösungen müssen einfach, zugänglich und verständlich gestaltet sein, damit kein Teil der Bevölkerung ausgeschlossen wird.
  6. Exit-Option & Steuerung
    Es muss möglich sein, Teile des digitalen Systems bei Fehlfunktionen abzuschalten oder zurückzufahren. Digitale Währungen sollten nicht irreversibel in das öffentliche Leben integriert werden, bevor Stabilität und Kontrolle gewährleistet sind.
  7. Kontinuierliche Monitoring- und Evaluierungsmechanismen
    Der Betrieb muss überwacht, Risiken gemessen und Anpassungen möglich sein — langfristig und transparent.

Schlusswort

Der Wettlauf um den digitalen Franken bringt Potenziale, bietet Innovationsspielraum und modernisiert das Finanzsystem. Doch er ist zugleich mit erheblichen Risiken und ungelösten Problemen behaftet — besonders wenn man Nachhaltigkeit, Demokratie, Datenschutz und gesellschaftliche Gerechtigkeit einbezieht.

Ein digitales Zentralbankgeld darf nicht zu einem technokratischen Trojaner werden, der demokratische Kontrolle unterminiert, Macht verschiebt oder Umweltbelastung mit sich bringt. Die Schweiz hat die Chance, einen Weg zu gehen, der umsichtig, verantwortungsvoll und zukunftsfähig ist — oder scheitern zu lassen.

Ein Ja zu einem digitalen Franken darf niemals ein Ja zu unkontrollierter technischer Macht, verdeckter Überwachung oder irreversiblen Abhängigkeiten sein. Nur wenn die Risiken beherrscht und die Prinzipien klar vorgegeben sind, kann ein digitaler Franken im Dienste der Gesellschaft stehen — und nicht darüber hinaus.

Redaktion
Redaktion
Redaktion schreibt bei Nachhaltiger24 über erneuerbare energien (wind/wasser) – mit Fokus auf praxisnahe Tipps, fundierte Quellen und Schweizer Rahmenbedingungen.

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