Worum es geht
Laut einem Entwurf der EU-Kommission, der am 12. November veröffentlicht werden soll, plant Brüssel die Einrichtung eines „Centre for Democratic Resilience“ (Zentrum für demokratische Resilienz). Es wäre Teil eines größeren „Democracy Shield“ (Demokratieschild) – einer Agenda, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits 2024 skizziert hat. Teilnahme: formal freiwillig; beitreten sollen auch „gleichgesinnte Partner“ außerhalb der EU. Aufgaben: Monitoring, Koordination und Gegenmaßnahmen gegen „ausländische Desinformation“.
Offizielles Narrativ – und die reale Gemengelage
Der Entwurf begründet die Maßnahme mit „hybriden Angriffen“ u. a. durch Russland (und zunehmend China). Das Zentrum soll mit Faktencheck-Netzen und Influencern zusammenarbeiten, um „vertrauenswürdige Inhalte“ zu verstärken. Kritiker sehen darin eine Institutionalisierung staatlich koordinierter Inhaltssteuerung – eine Eskalation bestehender Instrumente (DSA, EMFA, Polit-Werbe-Regulierung).
Der heikle Präzedenzfall: Rumänien
Als Beleg für Bedrohungen wird immer wieder die rumänische Präsidentschaftswahl 2024/25 angeführt – mit Vorwürfen russischer Beeinflussung, TikTok-Netzwerken, Fake-Followern und illegaler Finanzierung. Gerichte und Behörden trafen teils drastische Entscheidungen (bis hin zur Annullierung eines Wahlgangs), was international Kontroversen und den Vorwurf politischer Instrumentalisierung auslöste. Sicherheitsberichte und Plattform-Eingriffe existieren – aber die Kausalketten zwischen Kampagnen, Moderationsentscheidungen und Wahlausgang bleiben politisch umkämpft. Genau solche Fälle werden nun als Polit-Treibstoff für ein EU-Zentrum genutzt.
Kernkritik in fünf Punkten
- Unklare Mandatsgrenzen – „ausländisch“ vs. „innenpolitisch“
„Ausländische Desinformation“ klingt präzise, ist es aber selten. Inhalte zirkulieren grenzüberschreitend; Netzwerke sind hybrid. Ohne exakt justierte Prüfkriterien besteht das Risiko, dass oppositionelle oder unpopuläre Positionen fälschlich unter „FIMI“ (Foreign Information Manipulation & Interference) fallen – insbesondere, wenn das Zentrum mit Verstärkungs-/Dämpfungsmechaniken („content boosting“, Demotion) arbeitet. - Governance & Rechenschaft
Wer legt fest, was als „manipulativ“ gilt? Wer kontrolliert die Prüfer? Der Entwurf verweist auf Kooperation mit „unabhängigen“ Faktencheckern und Influencern. Doch Unabhängigkeit ist in Förderketten, Rahmenprojekten und politischen Erwartungshaltungen schwer messbar. Ohne öffentlich einsehbare Kriterienkataloge, Audit-Protokolle, Beschwerde-/Berufungswege und periodische externe Evaluierungen droht eine schiefe Ebene: politisch genehme Narrative werden privilegiert - DSA-Hebelwirkung = De-facto Inhaltssteuerung
Der Digital Services Act (DSA) schafft bereits mächtige Eingriffswege gegenüber Plattformen. Ein zusätzliches Zentrum mit „Koordinationsrolle“ kann faktisch zu vorgezogener Vorzensur führen – auch wenn es juristisch als „defensiv“ etikettiert wird. Sobald Behördenhinweise systematisch in Ranking, Labeling und De-Amplification einspeisen, entsteht Chilling Effect: Medien und Creator vermeiden kontroverse, aber legitime Positionen. - Politische Elastizität des Begriffs „Desinformation“
Der Guardian-Bericht zeigt, wie breit die Drohkulisse („Russland, China, PR-Agenturen, Influencer“) gezeichnet wird – ohne harte, publik gemachte Evidenzen pro Fall. In Wahlkämpfen ist die Versuchung groß, missliebige Kampagnen zur Desinformation zu erklären. Das unterminiert Vertrauen – ausgerechnet in das, was man schützen will. - Transatlantische Dissonanz
Selbst frühere Partner bei Informationsabwehr kritisieren mittlerweile eine „orwellianische“ Schlagseite mancher EU-Ansätze. Ob diese Einordnungen politisch überzeichnet sind oder nicht – sie zeigen, dass ein Brüsseler Zentral-Hub schnell zum geopolitischen Reibungspunkt wird und die Legitimität gegenüber Bürgern weiter erodieren kann. (Zur Einordnung: öffentliche Debatten und Statements 2025 verweisen genau auf diese Gefahr.) The Guardian
Was ein rechtsstaatlich tragfähiges Modell bräuchte (Mindeststandards)
- Enge Definition & Sunset-Klausel: Klare, justiziable Abgrenzung von „ausländischer Einflussoperation“ vs. legitimer politischer Rede; automatische Ablauffrist des Mandats ohne EU-Parlamentsverlängerung.
- Transparenz-Pflicht in Echtzeit: Öffentliche Register aller Anfragen/Hinweise an Plattformen (mit Zeitstempel, rechtlicher Grundlage, Evidenztyp, Ergebnis).
- Widerspruch & Rechtsbehelf: Betroffene Publisher/Influencer müssen zeitnah informiert werden und prüfbare Rechtswege haben.
- Externe Audits & Mehrheitswechsel-Robustheit: Jährliche unabhängige Audits (Methoden, Trefferquoten, Fehlalarme), Veröffentlichung vollständiger Berichte; Gremien so besetzen, dass Parteienwechsel die Linie nicht politisieren.
- Strikte Trennung von Förderung & Bewertung: Wer Gelder verteilt (Media-Programme), darf nicht Inhalteinstufungen treffen.
- Beweislast & Evidenz-Standards: Mindestanforderungen (Netzwerkanalysen, forensische Belege, Finanzflüsse), kein Handeln auf bloßen Verdacht.
(Teile dieser Mindeststandards werden von zivilgesellschaftlichen Papieren im „Democracy Shield“-Kontext gefordert – aber nicht konsequent rechtlich verankert.)
Fazit
Die Idee, Demokratien gegen echte Einflussoperationen zu schützen, ist legitim – und angesichts dokumentierter Fälle nicht aus der Luft gegriffen. Aber das geplante Zentrum droht, ohne harte rechtsstaatliche Leitplanken, zu einer dauerhaften Inhaltslenkungs-Behörde zu werden. Damit würde man genau das beschädigen, was man schützen will: Pluralismus, Vertrauen, Meinungsfreiheit. Wer einen Schutzschild baut, muss sichtbar beweisen, dass er kein Zensurschild ist – mit engen Mandaten, maximaler Transparenz, überprüfbaren Beweisen und wirksamen Rechtsbehelfen. Sonst bleibt der „Democracy Shield“ politisch dehnbar – und demokratisch fragwürdig
Quellenhinweise: Berichte über das geplante Zentrum und den Guardian-Leak; politische Stellungnahmen zum „Democracy Shield“; einschlägige DSA/EMFA-Kontexte; sowie die umstrittene rumänische Wahl als politischer Bezugsfall. Financial Times+5The Guardian

