In der aktuellen Diskussion um die Finanzierung der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) wird zunehmend die Möglichkeit einer moderaten Erbschaftssteuer als Lösungsansatz betrachtet. Wirtschaftsprofessor Marius Brülhart von der Universität Lausanne, der seit über zwanzig Jahren zu diesem Thema forscht, hat im Auftrag des Bundesrates ein Gutachten zur umstrittenen Juso-Initiative erstellt. Diese sieht einen Steuersatz von 50 Prozent auf Erbschaften über 50 Millionen Franken vor, ein Vorschlag, den Brülhart als übertrieben ablehnt. Dennoch spricht er sich für eine Besteuerung von Erbschaften aus, um die AHV zu entlasten.
Die Juso-Initiative und ihre Herausforderungen
Die Juso-Initiative fordert eine drastische Erhöhung der Erbschaftssteuer, die jedoch nur einen engen Personenkreis betreffen würde. Laut Brülhart würde der hohe Freibetrag von 50 Millionen Franken dazu führen, dass hauptsächlich sehr vermögende Personen, die oft auf der Liste der reichsten Menschen der Schweiz stehen, betroffen wären. Ein wesentlicher Kritikpunkt an der Initiative ist der hohe Steuersatz, der eine Abwanderung von Vermögenden ins Ausland zur Folge haben könnte. Die Forschung zeigt, dass höhere Steuersätze oft dazu führen, dass Reiche ihren Wohnsitz verlagern, um Steuern zu vermeiden.
Vergangenheit und Gegenwart
Brülhart verweist auf historische Beispiele: In den 1990er- und 2000er-Jahren haben viele Kantone die Erbschaftssteuer für direkte Nachkommen abgeschafft, was zu einer Abwanderung von Vermögenden führte. Seine Schätzungen basieren auf diesen Beobachtungen und den Erfahrungen aus den USA, wo ähnliche Erbschaftssteuermodelle existieren. Er warnte, dass sich die finanziellen Einbussen für die Kantone durch massiven Steuerverzicht nicht bewährt haben.
Erbschaften in der heutigen Gesellschaft
Die Bedeutung von Erbschaften hat in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen. Brülhart hebt hervor, dass Schenkungen und Erbschaften voraussichtlich die 100-Milliarden-Marke in der Schweiz überschreiten werden. Dies steht im Kontrast zu den gesamten Auszahlungen der AHV. Er argumentiert, dass die Frage, ob man erbt oder nicht, an der Relevanz gewonnen hat, insbesondere bei der Finanzierung von Immobilien. Dies unterstreicht die Dringlichkeit, die bestehende Erbschaftssteuer neu zu bewerten.
Die Argumente für eine moderate Erbschaftsteuer
Brülhart befürwortet eine moderate Erbschaftsteuer, die es ermöglichen würde, einen Teil der 13. AHV zu finanzieren, ohne die Löhne zusätzlich zu belasten oder den Konsum über die Mehrwertsteuer zu verteuern. Er argumentiert, dass eine solche Steuer wirtschaftlich gerechtfertigt sei, da sie nicht den Leistungswillen bestraft, sondern im Gegenteil, die Anreize zum Arbeiten erhöht. Beispielsweise wäre jemand weniger geneigt, frühzeitig in Pension zu gehen, wenn er weniger erbt.
Steuersatz und soziale Gerechtigkeit
Brülhart schlägt vor, einen Steuersatz von zehn Prozent auf Nachlässe über fünf Millionen Franken einzuführen, um auf ein historisches Niveau zurückzukehren. Dies würde nicht nur zur Finanzierung der AHV beitragen, sondern auch der Bevölkerung einen gewissen Gerechtigkeitsfaktor bieten. Viele Menschen empfinden es als fair, dass vermögende Erben anteilsmässig mehr zu den staatlichen Finanzen beitragen, als es bei weniger Begünstigten der Fall ist.
Die Gefahr der Ungleichheit
Ein weiteres zentrales Thema in Brülharts Argumentation ist die zunehmende Ungleichheit in der Gesellschaft. Während die Einkommensverteilung in der Schweiz im europäischen Durchschnitt liegt, klafft bei den Vermögen eine immer grössere Schere. Brülhart äussert Bedenken, dass eine kleine Elite durch ihren Reichtum politisch Einfluss gewinnen könnte, was bereits in anderen Ländern, wie den USA, beobachtet werden kann. Durch die direkte Demokratie hat die Schweiz jedoch gewisse Schutzmechanismen, um solche Entwicklungen zu verhindern.
Fazit: Ein notwendiges Umdenken
Marius Brülhart plädiert für ein Umdenken in der Erbschaftssteuerpolitik. Eine moderate Besteuerung könnte nicht nur zur finanziellen Entlastung der AHV beitragen, sondern auch soziale Gerechtigkeit fördern und die Abwanderung von Vermögenden ins Ausland verhindern. Es ist an der Zeit, dass die politische Debatte über Erbschaftssteuern verstärkt geführt wird, um zukunftsfähige Lösungen für die finanziellen Herausforderungen der Schweiz zu finden.