Vorbehalte zum Stromabkommen mit der EU – Bergkantone warnen vor Risiken
Bern/Lausanne, 4. November 2025 – Das geplante Stromabkommen zwischen der Schweiz und der EU stösst in den Gebirgskantonen auf Skepsis. Die Regierungskonferenz der Gebirgskantone (RKGK) will dem Vertrag nur unter klaren Vorbehalten zustimmen. Besonders beim Schutz der Wasserkraft, der öffentlichen Energieunternehmen und der Versorgungssicherheit sehen die Kantone kritische Punkte.

Gebirgskantone verlangen Garantien vom Bund
Die Regierungskonferenz der Gebirgskantone (RKGK) – bestehend aus Appenzell Innerrhoden, Uri, Obwalden, Nidwalden, Glarus, Graubünden, Tessin und Wallis – erklärte einstimmig, dass sie dem aktuellen Entwurf des Stromabkommens mit der EU nur unter Vorbehalten zustimmen könne. Diese betreffen den Geltungsbereich des Abkommens, das öffentliche Eigentum von Energieversorgern, staatliche Beihilfen und die Stromreserven.
Die RKGK fordert vom Bundesrat, den Nachweis zu erbringen, dass die EU die schweizerische Vertragsauslegung teilt. Andernfalls drohen rechtliche Unsicherheiten in zentralen Bereichen der Energiepolitik.
Unklarheit über Wasserkraftrechte und Marktöffnung
Besonders sensibel ist der Bereich Wasserkraft – Rückgrat der Stromversorgung in vielen Bergregionen. Die Kantone verlangen Klarheit, ob das Abkommen Einfluss auf Konzessionen, Heimfallrechte und Wasserzinsen hat.
Der Bundesrat geht davon aus, dass diese Rechte unberührt bleiben. Die RKGK hält jedoch fest, dass es dafür eine eindeutige vertragliche Bestätigung seitens der EU brauche. Andernfalls könnten sich europäische Marktregeln langfristig auf nationale Eigentumsverhältnisse auswirken.
Öffentliches Eigentum und Förderinstrumente in Gefahr?
Viele Energieversorgungsunternehmen in den Bergkantonen sind in öffentlicher Hand – ein Modell, das regionale Wertschöpfung und Versorgungssicherheit garantiert. Die Kantone befürchten, dass EU-Regeln über staatliche Beihilfen solche Strukturen infrage stellen könnten.
Die RKGK fordert deshalb eine Bestätigung, dass staatliche Unterstützung – etwa für den Ausbau erneuerbarer Energien – weiterhin zulässig bleibt. Gleichzeitig verlangt sie vom Bund verbindliche Instrumente, um Investitionen in inländische Stromproduktion zu sichern – insbesondere bei einer anhaltenden Tiefpreisphase am europäischen Markt.
Stromreserve und Netzstabilität als Knackpunkte
Auch die Frage der Stromreserven bleibt umstritten. Die Kantone warnen davor, dass die Marktöffnung nicht zulasten der Versorgungssicherheit gehen darf. Gerade in alpinen Regionen seien flexible Speicher und Notfallreserven zentral, um wetter- oder preisbedingte Schwankungen auszugleichen.
Die RKGK fordert eine verständliche und praktikable Umsetzung der Marktöffnung – ohne «innerstaatliche Nebenziele» oder bürokratische Hürden, die den Energieversorgern den Alltag erschweren.
Bund und Wirtschaft sehen Chancen
Das Bundesamt für Energie (BFE) sieht im Stromabkommen vor allem Vorteile: Die Integration in den europäischen Strommarkt soll Netzstabilität, Import- und Exportmöglichkeiten verbessern und Rechtssicherheit für grenzüberschreitende Energiegeschäfte schaffen.
Auch Wirtschaftsverbände wie Swissmem oder Swisscleantech betonen, dass eine enge Anbindung an den EU-Strommarkt für die Versorgungssicherheit und die Klimaziele der Schweiz zentral sei.
Kritische Balance zwischen Souveränität und Integration
Der Streit um das Abkommen zeigt die Grundspannung der Schweizer Energiepolitik: Wie weit darf sich die Schweiz europäischen Regeln unterwerfen, ohne ihre Souveränität zu verlieren? Und wie kann sie gleichzeitig sicherstellen, dass die Energiewende sozial, ökologisch und wirtschaftlich tragfähig bleibt?
Für die Bergkantone ist klar: Ohne Schutz der regionalen Energiehoheit und verlässliche Investitionsbedingungen droht das Abkommen, zentrale Pfeiler der Schweizer Strompolitik zu untergraben.
Fazit: Ein Abkommen mit doppeltem Risiko
Das Stromabkommen bietet Chancen für eine stabilere, vernetzte Energiezukunft – birgt aber auch Risiken für die Unabhängigkeit und Versorgungssicherheit der Schweiz. Die Vorbehalte der RKGK erinnern daran, dass europäische Integration nicht auf Kosten regionaler Eigenständigkeit gehen darf. Entscheidend wird nun, ob der Bundesrat Transparenz schafft und verbindliche Garantien für Wasserkraft, Eigentum und Förderinstrumente liefert.

