Eine reine Lehmmischung sei aktuell zehnmal nachhaltiger als Beton, aber auch zehnmal weniger tragfähig, legt der Professor dar. Um Lehm druckfester und somit attraktiver für mehrgeschossige Wohngebäude zu machen, versuche man, wie beim Beton, mit Armierungen zu arbeiten. Andererseits experimentieren Boltshauser und Hilgert auch mit Zuschlagstoffen, unter anderem mit Trasskalk, einem Gemisch aus Kalk und gemahlenem Gestein vulkanischen Ursprungs (Trass). «Das macht den Lehm zwar dauerhafter. Gleichzeitig wird es aber schwieriger, das Baumaterial später wiederzuverwenden», sagt Boltshauser.
Heute sind Stampflehmbauten normalerweise zwei- oder dreigeschossig. Theoretisch könnte man sie aber vierzig Meter hoch bauen, sagt Boltshauser. In die Höhe zu bauen, sei sogar mit nicht stabilisierten Lehmelementen möglich. Dies beweist der Ofenturm, den Boltshauser zusammen mit Studierenden für das Ziegelei-Museum in Cham entwickelt und gebaut hat. Es ist das erste vorgespannte Lehmbauwerk der Welt: Verstärkt wird die Konstruktion aus vorgefertigten gestampften Lehmelementen mit Stahlseilen. Dadurch konnten der Innenraum ohne Zwischendecke und die tragenden Aussenwände dünner gemacht werden.
Immer mehr Holz im städtischen Bau
Eine andere Möglichkeit, Lehm für tragende Strukturen zu verwenden, ist die Kombination mit Holz. Während Lehm allein kaum Zugkräfte aufnehmen kann, ist Holz dafür deutlich besser geeignet. So gibt es zum Beispiel vorgefertigte Elemente aus Stampflehm, die von Holzbalken umrahmt werden. Mit solchen Hybridelementen lassen sich nachhaltigere Wände oder Fassaden bauen. Wie Lehm ist auch Holz nachhaltig und in der Schweiz ausreichend vorhanden – und wird als Baumaterial immer beliebter: Bei neu gebauten Ein- und Zweifamilienhäusern machte der Anteil von Holz in der Tragkonstruktion 2023 bereits siebzehn Prozent aus, Tendenz steigend.
In Städten, wo verdichtet werden muss, wird das leichte Baumaterial gerne für Aufstockungen verwendet und erreicht hier noch deutlich höhere Materialanteile. Bereits gibt es auch einzelne Projekte für Holzhochhäuser. Mit Holz sollte aber noch viel mehr gebaut werden, sagt Ingo Burgert, Professor für holzbasierte Materialien an der ETH Zürich und Co-Leiter der Forschungsgruppe WoodTec an der Empa. «Holz ist ein ausgezeichnetes Baumaterial: Es bietet hohe Festigkeit und Steifigkeit und hat im Vergleich zu anderen Materialien eine geringe Dichte. Und es wächst nach.» Ein weiterer grosser Vorteil von Holz sei, dass in ihm CO₂ gebunden ist. «Wenn es uns gelingt, mehr Holz zu verbauen, bei gleichzeitigem Erhalt einer nachhaltigen Forstwirtschaft, wird zusätzliches CO₂ über mehrere Jahrzehnte im Gebäudebestand eingelagert. Auf diese Weise können wir im Kampf gegen den Klimawandel wertvolle Zeit gewinnen – bis es neue Technologien gibt, um CO₂ effizienter und weniger energieaufwendig der Luft zu entziehen und zu speichern.»
Burgerts Team forscht an Möglichkeiten, Holz in seinen Eigenschaften zu verbessern und es beständiger zu machen. Denn Holz interagiert mit Wasser, Sonnenlicht und Feuer und wird durch Pilze und Insekten abgebaut, wodurch das gespeicherte CO₂ wieder freigesetzt wird. «Wenn wir die Einsatzmöglichkeiten von Holz deutlich erweitern wollen, müssen wir diesen Zyklus möglichst umweltfreundlich verlängern beziehungsweise durchbrechen und Holz zusätzlich besser gegen Feuer und die Farbveränderung durch Sonnenlicht schützen», so Burgert. Um Holz widerstandsfähiger zu machen, experimentiert Burgerts Team mit natürlichen, vorwiegend biologischen Substanzen, ohne die Nachhaltigkeit der Ressource Holz durch Modifikation mit bedenklichen chemischen Stoffen einzuschränken – zum Beispiel mit Schellack, einem Harz, das Lackschildläuse absondern, oder Tanninen, also pflanzlichen Gerbstoffen.
Mehr Laubbäume für den Wald der Zukunft
In der Schweiz werden für den Holzbau vor allem Nadelhölzer genutzt, insbesondere die Fichte. Diese ist wenig resistent gegen Trockenheit und leidet stark unter den Folgen des Klimawandels. Daher sucht man nach alternativen Holzarten für die bestehenden Holzprozessketten. Keine einfache Aufgabe, da Holz langsam wächst – und sich die klimatischen Bedingungen zurzeit schnell verändern.
«Wenn wir uns jetzt für Holzarten als Ersatz entscheiden, müssen wir berücksichtigen, dass wir erst in Jahrzehnten ernten können», so Burgert. Im Schweizer Wald der Zukunft wird es voraussichtlich deutlich mehr Laubbäume geben. Diese Holzarten erfordern aber neue Prozesstechnologien, da sie für den klassischen Sägeprozess deutlich weniger gut geeignet sind.

