Die Schweizer Versicherungsbranche sieht sich mit einem massiven Vertrauensproblem konfrontiert: Rund 100 Personen haben sich über Monate hinweg unrechtmässig Zertifikate als Versicherungsvermittler erschlichen. Das bestätigt der Berufsbildungsverband der Versicherungswirtschaft (VBV) in einer aktuellen Mitteilung. Die Qualifikationen der Betroffenen waren nicht vorhanden – dennoch traten sie mit offiziellen Dokumenten auf, die ihnen eigentlich nur nach bestandener Fachprüfung zustehen dürften.
Manipulierte Zertifikate – und ein grosses Schlupfloch
Gemäss VBV wurden die gefälschten Zertifikate durch gezielte Manipulationen erschlichen. Eine interne Untersuchung deckte die Vorgänge schrittweise auf. Unklar ist, ob mehrere Personen gemeinsam agierten oder ob es sich um zahlreiche Einzelfälle handelt.
Fest steht: Die Zertifikate ermöglichten den Betroffenen, als offiziell qualifizierte Versicherungsvermittler aufzutreten – ein Titel, der in der Schweiz streng reguliert ist und die Grundlage für Beratungstätigkeiten bei Versicherungsunternehmen bildet.
Sofortmassnahmen: Anzeige, Löschung und faktisches Berufsverbot
Der VBV hat nach eigenen Angaben konsequent reagiert:
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Strafanzeigen in allen rund 100 Fällen
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Information der Finanzmarktaufsicht (Finma)
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Sofortige Löschung der Einträge aus dem Qualitätsregister Cicero
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Sperrung der betroffenen Personen für neue Einträge
Damit erhalten die mutmasslichen Vermittler ein faktisches Berufsverbot, solange die Untersuchungen laufen. Der Verband betont, dass das Vertrauen in die Versicherungsberatung und die Qualitätssicherung höchste Priorität hätten.
Interne Prozesse verschärft
Um ähnliche Fälle künftig zu verhindern, wurden interne Abläufe überarbeitet. Dazu gehören strengere Verifizierungsmechanismen, zusätzliche Kontrollschritte und eine engere Zusammenarbeit mit den Versicherungsunternehmen, die bereits aktiv informiert wurden.
Warum gerade jetzt? Explodierende Nachfrage im Jahr 2025
Der Zeitpunkt ist kein Zufall. Die Nachfrage nach VBV-Zertifikaten ist 2025 massiv angestiegen:
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2024 wurden rund 2000 Zertifikate ausgestellt
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2025 werden es voraussichtlich über 8000 sein
Grund dafür ist eine Übergangsfrist, die Ende 2025 ausläuft. Danach müssen alle Vermittler zwingend die neuen obligatorischen Prüfungen bestehen. Viele Kandidaten versuchen derzeit, sich noch rechtzeitig zertifizieren zu lassen – ein «Run» auf Prüfungen, der offenbar manche dazu verleitet hat, Abkürzungen zu suchen.
Reputationsschaden für die Branche
Der Fall trifft eine Branche, die stark auf Vertrauen basiert. Versicherungsvermittler entscheiden mit ihren Kunden über langfristige Vorsorge-, Risiko- und Vermögensfragen. Die Vorstellung, dass nicht qualifizierte Personen solche Beratungen durchgeführt haben könnten, sorgt für Unruhe.
Gleichzeitig zeigen die raschen Sofortmassnahmen, dass Kontrollmechanismen funktionieren und Schwachstellen nun geschlossen wurden.
Fazit: Weckruf für die Versicherungsbranche
Der Skandal zeigt deutlich, wie wichtig robuste Zertifizierungsprozesse und digitale Sicherheitsmechanismen sind. Die Aufarbeitung dürfte noch Monate dauern – doch der VBV setzt ein klares Signal: Manipulationen werden nicht toleriert, und Qualität bleibt oberstes Gebot.
Für Kundinnen und Kunden lohnt es sich mehr denn je, die Qualifikation ihrer Versicherungsberater zu überprüfen – denn Vertrauen ist die wertvollste Währung dieser Branche.

