(Bern) – In einem bedeutenden Schritt für den Kinderschutz in der Schweiz wurde in der Herbstsession 2025 die Verankerung der gewaltfreien Erziehung im Zivilgesetzbuch durch den Ständerat beschlossen. Historisch ist diese Entscheidung nicht nur für die rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern auch für das gesellschaftliche Bewusstsein im Umgang mit Kindern. Gewalt, wie Ohrfeigen, Erniedrigungen oder ständige Beschimpfungen, werden nun klar als unzulässige Erziehungsmassnahmen definiert. Dies ist das Resultat jahrzehntelanger Bemühungen von Kinderschutz Schweiz, die sich seit über 40 Jahren für das Wohl von Kindern einsetzen.
Ein langer Weg zur gesetzlichen Verankerung
Die Initiative zur gesetzlichen Verankerung der gewaltfreien Erziehung geht auf politische Vorstösse in den 2000er-Jahren zurück. Kinderschutz Schweiz hat sich kontinuierlich für dieses Ziel stark gemacht. Bereits 2013 wurde eine Motion von Yvonne Feri, der Stiftungsratspräsidentin, eingereicht, die jedoch zunächst keine Mehrheit fand. Erst die Motion von Christine Bulliard-Marbach im Jahr 2023 fand in beiden Räten Gehör. Mit der Zustimmung des Ständerats am 9. September 2025 gelangte die wichtige Gesetzesänderung schliesslich zum Abschluss.
Yvonne Feri erklärte nach dem erfolgreichen Beschluss: „Kinder verdienen denselben Schutz vor Gewalt wie Erwachsene, auch in der Erziehung. Ich bin dankbar und stolz, dass wir endlich am Ziel sind.“ Die gesetzliche Festlegung ist somit nicht nur ein rechtlicher Gewinn, sondern auch ein Schritt hin zu einer grundlegenden Veränderung in der Erziehungskultur in der Schweiz.
Präventionskampagne: Ein ganzheitlicher Ansatz
Um das politische Lobbying und die Sensibilisierung der Gesellschaft zu unterstützen, startete Kinderschutz Schweiz im Jahr 2018 die nationale Präventionskampagne „Es gibt immer eine Alternative zur Gewalt“. Diese Kampagne zielt darauf ab, Eltern und Erziehungsberechtigte über gewaltfreie Erziehungsmethoden aufzuklären und Handlungsalternativen aufzuzeigen.
Die neueste Phase der Kampagne trägt den Titel: „Bevor du in die Luft gehst: geh an die Luft.“ Diese Botschaft adressiert die Tatsache, dass viele Gewaltsituationen aus Überforderung und Stress im Alltag resultieren. Frische Luft als Mittel zur Beruhigung wird als einfache, aber effektive Strategie präsentiert, um Konflikte zu entschärfen. Trotz der gesetzlichen Verankerung bleibt die Aufklärung über Handlungsalternativen von zentraler Bedeutung, um zu verhindern, dass es in stressigen Erziehungssituationen zu Gewalt kommt.
Die Realität der Gewalt in der Erziehung
Trotz der Fortschritte in der rechtlichen Regelung bleibt Gewalt in der Erziehung ein drängendes gesellschaftliches Problem. Eine Elternbefragung des Jahres 2024, durchgeführt von der Universität Freiburg im Auftrag von Kinderschutz Schweiz, liefert alarmierende Ergebnisse:
- Fast jedes zweite Kind in der Schweiz erlebt körperliche oder psychische Gewalt in der Erziehung.
- Jedes 14. Kind wird regelmässig körperlich bestraft, was 7% aller Kinder entspricht.
- Etwa jedes fünfte Kind ist wiederholt psychischer Gewalt ausgesetzt – zum Beispiel durch Schreien, Beschimpfen oder Bedrohen.
Diese Statistiken verdeutlichen die Notwendigkeit für umfassende Präventions- und Unterstützungsangebote, auch nach der gesetzlichen Festschreibung.
Nachhaltige Prävention: Verantwortung von Bund und Kantonen
Kinderschutz Schweiz ist eine unabhängige, spendenfinanzierte Organisation, die von der Unterstützung von Spender:innen und Partner:innen abhängt. Die nationalen Sensibilisierungskampagnen über acht Jahre hinweg wurden dank dieser finanziellen Mittel ermöglicht. Mit der gesetzlichen Verankerung wird jedoch klar, dass die Verantwortung für die nachhaltige Prävention nun bei den staatlichen Stellen – Bund und Kantonen – liegt.
Regula Bernhard Hug, Direktorin von Kinderschutz Schweiz, hebt hervor: „Diese sind gefordert, konkrete Unterstützungsangebote für Eltern und Fachpersonen bereitzustellen – von Prävention bis Beratung.“ Die Notwendigkeit einer entsprechenden Infrastruktur ist nun umso mehr gegeben, um den gesetzlich verankerten Schutz für Kinder in der Schweiz effektiv umzusetzen.
Kinderschutz Schweiz bleibt engagiert
Auch nach dem Abschluss der Kampagne und der gesetzlichen Verankerung wird Kinderschutz Schweiz weiterhin für den Schutz von Kindern in der Schweiz eintreten. Mit praxisnahen Angeboten für Eltern, Erziehungsberechtigte und Fachpersonen wird das gewonnene Know-how aktiv in politische und gesellschaftliche Prozesse eingebracht. Gewaltfreie Erziehung ist nicht nur ein gesetzliches Gebot, sondern auch eine gesellschaftliche Haltung, die Wissen, Begleitung und Unterstützung erfordert.
Fazit: Ein Schritt in die richtige Richtung
Die Verankerung der gewaltfreien Erziehung im Zivilgesetzbuch stellt einen bedeutenden Fortschritt im Schutz von Kindern in der Schweiz dar. Sie ist das Ergebnis jahrzehntelanger Bemühungen und ein Zeichen für ein verändertes Bewusstsein in der Gesellschaft. Dennoch bleibt die Herausforderung, Gewalt in der Erziehung zu verhindern, bestehen. Der gesetzliche Schutz muss durch präventive Massnahmen und Unterstützungsangebote flankiert werden, um eine gewaltfreie Erziehung zu fördern und das Wohl aller Kinder in der Schweiz sicherzustellen.
Weitere Informationen zur Präventionskampagne
Für mehr Informationen über die Präventionskampagne und die Handlungsalternativen zur Gewalt in der Erziehung besuchen Sie bitte die folgenden Links:
- Kampagnenfilm: https://www.kinderschutz.ch/angebote/praeventionskampagne/starke-ideen-geh-an-die-luft
- Präventionskampagnen 2018 bis heute: https://www.kinderschutz.ch/angebote/praeventionskampagne/
- Handlungsalternativen zur Gewalt: https://www.kinderschutz.ch/themen/gewaltfreie-erziehung/gewalt-in-der-erziehung/handlungsalternativen-gewalt