Biodiversität in Schweizer Städten: Warum die Artenvielfalt höher ist als auf dem Land
Die Biodiversität ist eines der wichtigsten Themen des 21. Jahrhunderts, da sie die Grundlage für das Überleben der Menschheit bildet. In der Schweiz zeigt sich ein überraschendes Phänomen: In Städten ist die Artenvielfalt oftmals höher als auf dem Land. Dies widerspricht der weit verbreiteten Vorstellung, dass ländliche Gebiete unberührte Oasen der biologischen Vielfalt sind, während Städte als Betonwüsten gelten. Doch wie kommt es dazu, dass urbane Gebiete zunehmend zu Rückzugsorten für Tiere und Pflanzen werden, während die Landwirtschaft die Artenvielfalt auf dem Land einschränkt?
Die urbane Biodiversität – ein unterschätztes Phänomen
Städte wie Zürich, Basel oder Genf haben eine unerwartet hohe Artenvielfalt. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass in den urbanen Zentren der Schweiz erstaunlich viele verschiedene Arten vorkommen – von Insekten und Vögeln bis hin zu Pflanzenarten. Doch diese hohe Vielfalt in den Städten ist nicht unbedingt positiv zu werten. Zwar gibt es viele Arten, jedoch handelt es sich oft um sogenannte Generalisten, also Arten, die sich gut an unterschiedliche Lebensräume anpassen können. Sie dominieren den städtischen Raum, während spezialisierte Arten, die spezifische Lebensbedingungen benötigen, zunehmend verdrängt werden.
Beispiele für solche Generalisten sind Stadtvögel wie die Taube oder Pflanzen wie der Löwenzahn, die sich leicht in städtischen Umgebungen ausbreiten. Diese Arten sind widerstandsfähig und können sich den oft extremen Umweltbedingungen in Städten anpassen. Die Spezialisierung, die auf dem Land noch eine Rolle spielt, wird in Städten weniger wichtig, da die Lebensräume hier vielfältiger, aber auch stark fragmentiert sind. Strassen, Gebäude und versiegelte Flächen schneiden Lebensräume voneinander ab, was zur Verbreitung der Generalisten führt.
Der Rückgang der Artenvielfalt auf dem Land
Auf dem Land hingegen ist die Situation alarmierend. Die Schweiz, bekannt für ihre malerischen Landschaften und landwirtschaftlichen Flächen, leidet unter einem Rückgang der Artenvielfalt. Intensive landwirtschaftliche Nutzung hat dazu geführt, dass Lebensräume wie artenreiche Wiesen, Moore oder Feuchtgebiete stark zurückgegangen sind. Diese Lebensräume bieten spezialisierten Arten, die auf bestimmte Bedingungen angewiesen sind, Schutz und Nahrung. Doch Monokulturen, der Einsatz von Pestiziden und die immer weitergehende Flächenversiegelung haben zu einem Verlust dieser wertvollen Habitate geführt.
Laut dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) sind fast 50 % der Lebensräume in der Schweiz bedroht, und ein Drittel der bekannten Tier- und Pflanzenarten ist gefährdet. Der Verlust dieser Arten und Lebensräume bedroht nicht nur die Biodiversität, sondern auch die Ökosystemleistungen, die sie für den Menschen erbringen, wie die Bestäubung von Pflanzen oder die Reinigung von Wasser und Luft.
Städte als Rückzugsorte für Biodiversität?
Es mag paradox erscheinen, doch Städte können eine wichtige Rolle bei der Erhaltung der Biodiversität spielen. Die Natur in Städten besteht aus vielen kleinen, isolierten Lebensräumen – Parks, Gärten, Brachen oder Flachdächer. Diese «grünen Inseln» bieten vielen Arten eine Zuflucht, besonders wenn diese Flächen naturnah gestaltet werden. In Städten wie Zürich oder Basel werden bereits Initiativen umgesetzt, um die Biodiversität zu fördern. Begrünte Dächer, natürliche Uferbereiche oder Blühwiesen sind Beispiele dafür, wie städtische Lebensräume für Tiere und Pflanzen attraktiver gestaltet werden können.
Durch gezielte Maßnahmen kann die Biodiversität in Städten erhöht werden. Viele Menschen tragen selbst dazu bei, indem sie in ihren Gärten oder auf Balkonen Pflanzen anbauen, die heimischen Arten zugutekommen. Auch der Verzicht auf Pestizide und das Anlegen von naturnahen Flächen, die weniger oft gemäht werden, tragen zur Steigerung der Artenvielfalt bei.
Herausforderungen der urbanen Biodiversität
Trotz dieser positiven Entwicklungen gibt es in Städten auch grosse Herausforderungen. Die Versiegelung von Flächen, der Bau von neuen Strassen und Gebäuden sowie der Verlust von natürlichen Flächen setzen die Biodiversität unter Druck. Zudem besteht das Problem der «Biologischen Homogenisierung», das heisst, dass in vielen Städten zwar unterschiedliche Arten vorkommen, es sich dabei jedoch oft um dieselben Generalisten handelt, die weltweit in urbanen Gebieten verbreitet sind.
Auch wenn Städte wie Zürich oder Genf eine erstaunliche Artenvielfalt aufweisen, fehlt es oft an spezialisierten Arten, die spezifische Umweltbedingungen benötigen. Arten wie Schmetterlinge oder bodenbrütende Wildbienen, die auf bestimmte Pflanzen angewiesen sind, finden in Städten oft nicht die passenden Lebensbedingungen. Dies führt dazu, dass die urbane Artenvielfalt zwar quantitativ hoch, qualitativ jedoch eingeschränkt ist.
Wie kann die Biodiversität in der Stadt weiter gefördert werden?
Um die Biodiversität in der Stadt zu fördern, sind gezielte Massnahmen erforderlich. Hier sind einige Ansätze, die bereits umgesetzt werden oder Potenzial für die Zukunft haben:
- Naturnahe Gestaltung von Grünflächen: Stadtparks, Gärten und andere Grünflächen sollten so gestaltet werden, dass sie eine Vielzahl von Lebensräumen bieten. Dazu gehört das Anpflanzen heimischer Pflanzenarten, die Insekten und Vögeln Nahrung bieten, sowie das Zulassen von «wilden» Flächen, auf denen sich die Natur frei entwickeln kann.
- Vernetzung von Lebensräumen: Ein wichtiger Faktor für den Erhalt der Biodiversität ist die Vernetzung von Lebensräumen. Dies gilt sowohl für urbane als auch für ländliche Gebiete. Durch grüne Korridore können Tiere und Pflanzen in ansonsten isolierten Lebensräumen wandern und sich ausbreiten.
- Flachdächer begrünen: Die Begrünung von Flachdächern bietet zusätzliche Lebensräume in dicht bebauten Städten. Solche Dächer können mit einer Vielzahl von Pflanzenarten begrünt werden und bieten Insekten wie Bienen und Schmetterlingen Nahrungsquellen.
- Förderung der öffentlichen Wahrnehmung: Ein wichtiger Aspekt der Erhaltung der Biodiversität ist die Sensibilisierung der städtischen Bevölkerung. Viele Bürger sind sich nicht bewusst, welche Rolle sie im Erhalt der Artenvielfalt spielen können. Öffentlichkeitsarbeit, Bildungsprogramme und städtische Initiativen zur Förderung der Biodiversität sind entscheidend.
Fazit
Die Biodiversität in Schweizer Städten hat Potenzial, weiterzuwachsen. Obwohl die Städte oft als Betonwüsten wahrgenommen werden, bieten sie überraschend viele Lebensräume für eine Vielzahl von Arten. Doch um die Artenvielfalt nachhaltig zu schützen, sind Massnahmen auf allen Ebenen erforderlich – von der naturnahen Gestaltung städtischer Grünflächen bis hin zur Vernetzung von Lebensräumen. Städte können, wenn richtig gestaltet, wichtige Rückzugsorte für die Biodiversität werden und gleichzeitig die Lebensqualität ihrer Bewohner erhöhen.