Ein Lehrstück über Einfluss, Straflosigkeit und die strukturelle Abhängigkeit deutscher Staatsanwälte
Am 24. Oktober 2025 wurde bekannt: Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin sieht keinen Anfangsverdacht gegen die Rheinmetall-Tochter blackned GmbH, obwohl das Unternehmen nachweislich gezielt Bundestagsabgeordnete mit Wahlkampfspenden bedacht hatte, die über milliardenschwere Rüstungsaufträge entscheiden.
Die NGO abgeordnetenwatch hatte daraufhin Strafanzeige gestellt – erfolglos. Die Ermittler stuften die Zahlungen als blosse „Klimapflege“, also legitime politische Beziehungspflege, ein.
Ein Vorgang, der zeigt: Juristisch mag alles korrekt sein. Politisch ist es ein Schlag ins Gesicht für Transparenz und Unabhängigkeit.
Die Spenden und der Verdacht
Im Januar 2025 schrieb ein Lobbyist von blackned in einer internen E-Mail offen, man wolle „Abgeordnete, die im Rahmen ihrer Aufgaben für die Ausrüstung der Bundeswehr einen Beitrag leisten, bei ihren Wahlkämpfen mit einer kleinen Summe unterstützen“.
Die „kleine Summe“ betrug jeweils 2.000 Euro – gezielt adressiert an Mitglieder des Verteidigungs- und Haushaltsausschusses, also genau jene Politiker, die wenige Monate später über Aufträge entschieden, von denen Rheinmetall profitierte.
Der Vorgang wäre in anderen Demokratien Grund für umfassende Untersuchungen. In Deutschland aber sah die Staatsanwaltschaft „keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine strafbare Handlung“.
Das Schlagwort, mit dem die Ermittler das Verfahren beendeten, lautet „Klimapflege“ – ein Begriff, der nahelegt, dass gezielte Spenden an Entscheidungsträger lediglich der „guten Atmosphäre“ dienen, nicht der Einflussnahme.
Politisch erlaubt, moralisch verheerend
In der Praxis bedeutet das: Solange keine konkrete Gegenleistung („Geld gegen Beschluss“) nachgewiesen werden kann, ist selbst die gezielte Unterstützung politisch relevanter Abgeordneter in Deutschland legal.
Die juristische Begründung lautet: „Mangels Unrechtsvereinbarung kein strafbarer Vorteil“.
Doch politisch bleibt die Frage: Wie glaubwürdig ist eine Demokratie, in der ein Rüstungskonzern Entscheidungsträger „unterstützt“ und das dann als „Klimapflege“ durchgeht?
Solche Vorgänge untergraben das Vertrauen der Bevölkerung in unabhängige Politik.
Sie verstärken das Gefühl, dass in Berlin Einfluss käuflich, aber nicht nachweisbar strafbar ist.
Das strukturelle Problem: Staatsanwälte unter Regierungsweisung
Dass Verfahren wie dieses überhaupt so schnell eingestellt werden, liegt auch an einer Eigenart des deutschen Rechtssystems, die viele Bürger kaum kennen:
Deutsche Staatsanwälte sind nicht unabhängig. Sie unterstehen der Weisung des jeweiligen Justizministers – im Bund dem Bundesjustizminister, in den Ländern den Landesministern.
Das bedeutet: Ein Minister oder seine Behörde kann Anweisungen geben, welche Ermittlungen aufgenommen, fortgeführt oder beendet werden sollen.
Diese politische Einflussmöglichkeit wurde mehrfach kritisiert, auch von europäischen Institutionen.
- Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied 2019 (Az. C-508/18 u.a.), dass deutsche Staatsanwaltschaften keine europäischen Haftbefehle ausstellen dürfen, weil sie nicht unabhängig von der Exekutive sind.
- Der Europarat mahnte 2023 erneut eine Reform an: Deutschland verletze die Grundprinzipien einer Gewaltenteilung, wenn Politiker formell über Ermittlungsentscheidungen Einfluss nehmen können.
In Österreich, Italien oder Frankreich gilt das Weisungsrecht in dieser Form nicht mehr – dort sind die Anklagebehörden weitgehend autonom oder richterlich beaufsichtigt.
Konsequenzen: Abhängigkeit als Systemfehler
Die Folge: Politisch heikle Verfahren – etwa zu Lobbyismus, Korruption, Parteispenden oder Rüstungsgeschäften – landen in einem Spannungsfeld, in dem Justiz und Politik strukturell verflochten sind.
Selbst wenn einzelne Staatsanwälte integer arbeiten, steht über ihnen ein Ministerium, das die Richtung vorgeben kann.
Der Fall Rheinmetall zeigt dieses Dilemma exemplarisch:
- Eine NGO zeigt ein Rüstungsunternehmen an.
- Eine politisch weisungsgebundene Staatsanwaltschaft entscheidet über die Ermittlungen.
- Die politische Führung profitiert von der Rüstungsindustrie – und der Fall wird eingestellt.
Das ist kein Zufall, sondern ein systemischer Interessenkonflikt.
Europa schaut kritisch auf Deutschland
Ironischerweise wird Deutschland international gern als Vorbild für Rechtsstaatlichkeit gesehen – doch gerade im Strafverfolgungsrecht gilt es als Reformnachzügler.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), die Venedig-Kommission und auch Transparency International haben wiederholt gefordert, das Weisungsrecht abzuschaffen oder streng zu begrenzen.
Bisher geschah: nichts.
Die Ampel-Koalition versprach 2021 eine „Überprüfung des Weisungsrechts“ – umgesetzt wurde bis heute keine Reform.
Damit bleibt Deutschland das einzige EU-Land, in dem ein Minister faktisch Ermittlungsrichter spielt.
Warum das gefährlich ist
Ein Rechtsstaat lebt davon, dass niemand über dem Gesetz steht – weder Konzerne noch Politiker.
Wenn aber die Behörde, die über mögliche Ermittlungen entscheidet, dem politischen Apparat unterstellt ist, wird Kontrolle zur Fiktion.
Der Fall Rheinmetall/Blackned ist daher mehr als ein Spenden-Skandal.
Er ist ein Symptom eines Justizsystems, das politisch absichern kann, was juristisch unangenehm wäre.
Reformen sind überfällig
Juristenverbände fordern seit Jahren:
- Abschaffung des ministeriellen Weisungsrechts gegenüber Staatsanwälten.
- Einrichtung eines unabhängigen Generalstaatsanwalts (vergleichbar mit der Schweiz oder Italien).
- Transparente Veröffentlichung aller ministeriellen Weisungen an Ermittlungsbehörden.
- Parlamentarische Kontrolle, wenn Verfahren gegen Regierung, Parteien oder Konzerne betroffen sind.
Solange das nicht geschieht, bleiben Aussagen wie „kein Anfangsverdacht“ oder „Klimapflege“ ein Synonym für: Wir haben gar nicht erst richtig hingesehen.
Fazit
Der Fall Rheinmetall ist kein Einzelfall – er ist ein Spiegel der strukturellen Schwäche deutscher Strafverfolgung.
Ein Land, das seine Staatsanwälte der Regierung unterstellt, kann Korruption bekämpfen, solange sie klein genug ist.
Wird sie gross, heisst es: Kein Anfangsverdacht.
Wenn Rüstungskonzerne Abgeordnete „unterstützen“ dürfen und Ermittler das als „Klimapflege“ abtun, dann ist das kein Rechtsstaat in Bestform, sondern ein politisch kontrolliertes System der selektiven Straflosigkeit.

