Pornosucht in der Schweiz – ein unterschätztes Problem mit realen Folgen

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Konsumzahlen & Studienlage in der Schweiz

Obwohl begrenzte Daten vorhanden sind, liefern verschiedene Studien und Berichte deutliche Hinweise darauf, dass pornografischer Konsum in der Schweiz verbreitet ist – und in einigen Fällen problematisch wird.

  • Laut einer Erhebung der Psychologisches Institut der Universität Zürich gaben 26 % der Männer und 17 % der Frauen an, im vergangenen Jahr pornografische Inhalte konsumiert zu haben. Bei diesen Männern war die Scheidungswahrscheinlichkeit um 60 % erhöht und die Unzufriedenheit mit dem Gesamtleben um etwa 20 %. Psychologisches Institut UZH
  • Eine Auswertung der Suchanfragen auf Google Trends zeigte kantonale Unterschiede beim Pornokonsum: Beispielsweise variiert die Häufigkeit des Begriffs „Pornhub“ nach Kanton deutlich. www.watson.ch/
  • Bei Jugendlichen berichten Untersuchungen wie die JAMES‑Studie, dass 12 % der 12- und 13-Jährigen bereits pornografische Inhalte konsumiert haben. Bei älteren Jugendlichen (18-19 Jahre) liegt der Anteil bei über 50 %. jugendundmedien.ch
  • Experten schätzen: Bis zu 6 % der Schweizer Bevölkerung könnten an einer Form von Sex- oder Pornosucht leiden – das entspricht ca. 300 000 Personen. St. Galler Tagblatt+1
  • Gleichzeitig steigt die Zahl der Verzeige von Jugendlichen wegen verbotener Pornografie in Kantonen wie Zürich: 2021 waren 188 Fälle verzeichnet, 2022 bereits 245. Kanton Zürich

Diese Daten zeigen: Pornografiekonsum ist allgegenwärtig – und für einen Teil der Bevölkerung geht er mit Risiken einher.


Ursachen & Risikofaktoren

Warum kann sich Pornografiekonsum zu einer Sucht entwickeln? Einige zentrale Mechanismen:

  • Hoher und leichter Zugriff: Smartphones, Tablets und Laptops ermöglichen rund um die Uhr Zugriff auf pornografische Inhalte – oft anonym und unbeobachtet.
  • Belohnungsmechanismen im Gehirn: Studien zeigen, dass starker und regelmäßiger Pornokonsum neurobiologische Veränderungen fördern kann – ähnlich wie bei anderen Verhaltenssüchten.
  • Eskalation und Toleranzentwicklung: Wer regelmäßig konsumiert, braucht mitunter intensivere oder ungewöhnlichere Inhalte, damit derselbe „Reiz“ wirkt.
  • Flucht- oder Bewältigungsfunktion: Stress, Einsamkeit, Beziehungsprobleme oder psychische Belastungen können den Einstieg in problematischen Konsum fördern.
  • Tabu und Scham: Betroffene sprechen oft nicht über ihren Konsum – was die Suchtdynamik verschärfen kann, weil keine frühe Unterstützung erfolgt.

In der Schweizer Jugend- und Medienforschung wird betont, dass ein offener Dialog über Sexualität und Mediennutzung eine wichtige Rolle spielt – Zugänge zu Prävention und Unterstützung aber noch lückenhaft sind. jugendundmedien.ch+1


Auswirkungen im Alltag

Wenn Pornografie problematisch wird, sind die Folgen vielfältig:

  • Beziehungsprobleme: Studien zeigen, dass unter Paaren, bei denen ein Part häufig Pornos schaut, häufiger Unzufriedenheit, Distanzierung oder Konflikte auftreten. Stiftung Zukunft CH+1
  • Selbstwert & Lebenszufriedenheit: Die erwähnte Studie der UZH fand einen Zusammenhang zwischen Pornokonsum und geringerer Lebenszufriedenheit bzw. Ehezufriedenheit. Psychologisches Institut UZH
  • Probleme bei Jugendlichen: Der frühe Konsum von Pornografie kann die sexuelle Sozialisation beeinflussen – z. B. realitätsferne Erwartungen, Vergleichsdruck oder Desensibilisierung gegenüber Intimität. jugendundmedien.ch+1
  • Illegale Inhalte & Straftaten: Die Zahl der Strafanzeigen wegen illegaler Pornografie nimmt zu. Gemäss der Schweizer Kriminalstatistik (2020) wurden rund 3 051 Fälle registriert – ein Anstieg von 8 % gegenüber dem Vorjahr. Schweizer Radio und Fernsehen (SRF)

Diese Folgen zeigen: Es handelt sich nicht bloß um ein „harmloses“ Freizeitvergnügen, sondern in manchen Fällen um eine tiefgreifende Herausforderung für Individuen und Beziehungen.


Therapie, Unterstützung und Versorgungslücken in der Schweiz

Die gute Nachricht: Es gibt Behandlungs- und Beratungsangebote. Die weniger gute: Sie reichen noch nicht flächendeckend und sofort aus.

  • In Städten wie Zürich gibt es spezialisierte Kliniken bzw. Beratungsstellen, die sich mit Sex- und Pornografie-Abhängigkeit befassen. St. Galler Tagblatt
  • Allerdings berichten Anbieter, dass viele Betroffene erst spät Hilfe suchen – oft aus Scham oder weil die Problematik nicht erkannt wurde.
  • Öffentliche Angebote sind begrenzt, und oft müssen Betroffene private, kostenpflichtige Hilfe in Anspruch nehmen.
  • Prävention in Schulen, Aufklärung über Medien- und Sexualkompetenz, aber auch Elternarbeit sind noch eher punktuell umgesetzt.

Das Fazit: Versorgung existiert – aber nicht ausreichend, wenn man an die geschätzten Zahlen von Betroffenen denkt.


Was kann getan werden? Empfehlungen für Politik, Fachstellen & Gesellschaft

  1. Aufklärung & Medienkompetenz
    Schulen, Eltern und Jugendorganisationen müssen angesprochen werden. Die Themen Pornografie, Mediennutzung und Sexualität gehören ins Klassenzimmer und ins Familiengespräch – offen, nicht beschämend.
    Besonders wichtig: Jugendliche sollen lernen, kritisch mit Online-Inhalten umzugehen – einschliesslich Darstellung von Körpern, Geschlechterrollen und erreichbaren Erwartungen.
  2. Früherkennung & niedrigschwellige Beratung
    Beratungseinrichtungen mit einfacher Zugänglichkeit, ggf. anonym und digital, können helfen, dass Probleme früh erkannt werden.
    Auch Arbeitgeber— und Gesundheitsdienste könnten sensibilisiert werden: Problematischer Konsum wirkt sich auf Arbeitsfähigkeit, Motivation und psychische Gesundheit aus.
  3. Strukturierte Therapielösungen
    Die Schweiz braucht mehr Angebote, auch in Randregionen und auf Kosten von Krankenkassen/öffentlichen Mitteln. Finanzielle und zeitliche Barrieren müssen gesenkt werden.
    Zudem: Therapiekonzepte müssen wissenschaftlich abgesichert sein – mit Fokus auf Verhaltensänderung, Rückfallprävention und Beziehungskontext.
  4. Forschung & Datenbasis stärken
    Es fehlen gute, aktuelle Schweizer Langzeitstudien zur Pornosucht: Wer ist betroffen? Wie verläuft die Entwicklung? Welche Behandlung hilft?
    Bessere Daten helfen — nicht zur Stigmatisierung, sondern zur Förderung von wirksamen Lösungen.
  5. Gesellschaftliche Normalisierung
    Pornografiekonsum gehört heute zur Realität vieler – das darf nicht tabuisiert sein. Aber: Problemtauglicher Konsum muss als solcher erkannt werden.
    Gesellschaftlich sollte ein Klima geschaffen werden, in dem betroffene Personen ohne Scham Hilfsangebote nutzen.

Fazit

Pornosucht ist kein Randphänomen mehr – in der Schweiz gibt es schätzungsweise Hunderttausende von Betroffenen. Die Kombination aus leichtem Zugang, digitaler Medienwelt und fehlender Unterstützung macht die Lage besonders kritisch.
Die heutigen Angebote reichen bei weitem nicht aus – noch fehlt die gesellschaftliche Sensibilität, die nötige Infrastruktur und das politische Gewicht, um systematisch gegenzusteuern.

Wenn wir dieses Thema ernst nehmen wollen – als Gesellschaft, als Eltern, als Fachleute – dann müssen wir handeln: Aufklärung, Prävention, Hilfeangebote und solide Datenbildung sind keine Optionen mehr – sondern Notwendigkeit.

Redaktion
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Redaktion schreibt bei Nachhaltiger24 über erneuerbare energien (wind/wasser) – mit Fokus auf praxisnahe Tipps, fundierte Quellen und Schweizer Rahmenbedingungen.

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