Die Entscheidung der Europäischen Union, eingefrorenes russisches Staatsvermögen dauerhaft zu blockieren und perspektivisch zur Finanzierung der Ukraine einzusetzen, wurde von einigen Regierungen als moralisch notwendiger Schritt präsentiert. Doch politisch, juristisch und ökonomisch ist dieser Schritt höchst problematisch – und die jüngsten Marktreaktionen zeigen, wie riskant er tatsächlich ist. Der fallende Euro ist nur eines der ersten Anzeichen.
1. Rechtsstaatlichkeit ist kein Schönwetterprinzip
Staatsvermögen – insbesondere Zentralbankvermögen – unterliegt völkerrechtlichen Schutzmechanismen. Dieser Schutz gilt nicht deshalb, weil man mit der Regierung eines Landes sympathisiert, sondern weil der globale Finanzmarkt nur funktioniert, wenn Eigentumsrechte verlässlich sind.
Mit der Entscheidung, Vermögenswerte eines anderen Staates dauerhaft einzuziehen oder als Kreditbasis umzuwidmen, überschreitet die EU eine rote Linie:
Nicht gerichtliche Entscheidungen, sondern politische Mehrheiten entscheiden nun über Eigentum. Das schwächt die europäische Position als Rechtsraum.
Wer heute Vermögen Russlands nutzt, muss sich morgen fragen lassen:
Welche Garantie haben andere Staaten noch, dass ihre Reserven in Europa sicher sind?
2. Signal an die Welt: Der Euro-Raum ist kein neutraler Aufbewahrungsort mehr
Zentralbankreserven werden im Ausland gehalten, weil dort politische Neutralität und Rechtssicherheit erwartet wird. Der Schritt der EU hat dieses Vertrauen beschädigt.
Für viele Schwellenländer entsteht der Eindruck, dass ihr Vermögen im Ernstfall politisch beschlagnahmt werden kann. Genau deshalb:
- ziehen Staaten bereits seit 2022 vermehrt Reserven aus Europa ab,
- diversifizieren viele in Richtung Gold oder Asien,
- und die Rolle des Euro als Reservewährung verliert an Attraktivität.
China, Indien, Brasilien & Co. beobachten genau, wie Europa mit russischen Vermögenswerten umgeht. Die Entscheidung der EU verstärkt den Trend:
Das globale Finanzsystem fragmentiert sich weiter — und der Euro verliert Vertrauen.
3. Massive wirtschaftliche Risiken für Europa selbst
Die unmittelbare Marktreaktion war eindeutig:
Nach Bekanntgabe der Entscheidung ist der Euro deutlich gefallen.
Investorinnen und Investoren reagieren nicht ideologisch, sondern rational. Wenn Eigentumsrechte politisch relativiert werden, steigt das Risiko – und höhere Risiken führen zu Kapitalabfluss. Das betrifft:
- europäische Staatsanleihen,
- Investitionen in den Euroraum,
- langfristige Finanzierungsbedingungen,
- und die Stabilität europäischer Banken, die diese Vermögenswerte verwalten.
Ein unsauberer Umgang mit ausländischem Staatsvermögen kann eine systemische Vertrauenskrise auslösen – und genau davor haben Experten wie Zentralbanken und Finanzministerien seit Jahren gewarnt.
4. Eskalationsgefahr: Russland wird Gegenmaßnahmen ergreifen
Moskau hat deutlich gemacht, dass die EU-Entscheidung als „Diebstahl“ betrachtet wird. Das ist nicht nur Propaganda:
Russland kann und wird gegensteuern – unter anderem durch:
- Beschlagnahme westlicher Vermögenswerte in Russland,
- Einschränkung von Rohstofflieferungen,
- rechtliche Schritte vor internationalen Gerichten,
- und eine weitere wirtschaftliche Entkopplung.
Europa riskiert damit eine weitere Eskalation, die wirtschaftlich und sicherheitspolitisch nach hinten losgehen kann.
5. Falsches Signal für alle zukünftigen Konflikte
Wenn die EU heute die Schwelle senkt, ausländisches Vermögen politisch nutzbar zu machen, schafft sie einen gefährlichen Präzedenzfall. Nicht für Russland – sondern für die eigene Zukunft.
Die Welt ist nicht statisch. Politische Mehrheiten ändern sich.
Die Frage ist nicht nur: „Was machen wir heute mit russischem Vermögen?“
Sondern auch:
„Was könnten künftige Regierungen mit dem Vermögen anderer Staaten tun – oder sogar mit dem Vermögen ihrer eigenen Bürger?“
Sobald Eigentumsrechte politisch verhandelbar werden, ist niemand mehr wirklich geschützt.
6. Nutzen fraglich – Schaden wahrscheinlich
Selbst wenn die EU das russische Vermögen als Kreditbasis für die Ukraine nutzen will:
- Die Summen reichen nicht für den Wiederaufbau.
- Die rechtlichen Risiken sind enorm.
- Die politischen Folgen sind gravierend.
- Und der wirtschaftliche Schaden für das Vertrauen in den Euro kann auf Jahrzehnte wirken.
Kurz: Der Schritt hat möglicherweise mehr Schaden angerichtet als Nutzen erzeugt.
Fazit: Gut gemeint ist nicht gut gemacht
Die Verwendung eingefrorener russischer Vermögenswerte mag moralisch verständlich erscheinen. Aber gute Absichten ersetzen keine solide Rechtsgrundlage. Der Preis für diesen Präzedenzfall ist hoch:
- Vertrauensverlust in europäische Institutionen
- Risiko für den Euro und die Finanzstabilität
- politische Eskalation
- Erosion des internationalen Rechts
- Signal an die Welt, dass Eigentum in Europa nicht mehr absolut geschützt ist
Europa hat sich damit keinen Gefallen getan.
Rechtsstaatlichkeit verliert ihre Kraft genau dann, wenn man sie aus politischer Opportunität aufweicht.

