Die Diskussion um die künftige medizinische Versorgung in der Schweiz wird zunehmend von den neuen EU-Verträgen und deren möglichen Auswirkungen auf das Krankenversicherungsgesetz (KVG) geprägt. Insbesondere die Bestimmungen, die die Zuwanderung von Medizinerinnen und Medizinern aus der EU betreffen, stehen im Fokus der politischen Debatte.
Hintergrund des Konflikts
Das KVG hat den Zweck, die medizinische Versorgung in der Schweiz sicherzustellen und gleichzeitig die Kosten im Gesundheitswesen zu kontrollieren. Artikel 37 des KVG fungiert dabei als wichtiges Planungsventil, um Über- und Unterversorgung in verschiedenen Regionen und Fachbereichen zu vermeiden. Diese Regelung verlangt von Leistungserbringern, dass sie drei Jahre Berufserfahrung an einer anerkannten Schweizer Weiterbildungsstätte nachweisen und ihre Sprachkenntnisse durch Prüfung belegen. In Zeiten von Personalmangel in der Gesundheitsbranche steht jedoch die Frage im Raum, ob diese Anforderungen nicht gegen die EU-Freizügigkeitsrichtlinien verstossen.
Warnungen aus der Politik
SVP-Nationalrat Mike Egger hat die möglichen Konflikte zwischen dem KVG und der Personenfreizügigkeit in den neuen EU-Verträgen thematisiert. Er sieht die Gefahr, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Bestimmungen des KVG, insbesondere die Anforderungen an die Sprachkenntnisse und die Weiterbildung, als unverhältnismässige Marktzugangshindernisse klassifizieren könnte. Egger warnt: „Das ist brandgefährlich – die Patientensicherheit wäre bedroht und die Krankenkassenprämien würden explodieren.“
Die Sicht der Europarechts-Expertin
Die Europarechts-Professorin Astrid Epiney bestätigt den möglichen Konflikt zwischen den Schweizer Bestimmungen und den Anforderungen der EU-Freizügigkeit. Sie betont, dass Artikel 37 diskriminierende Elemente enthält, die vor allem Ausländer betreffen. Das Freizügigkeitsabkommen der EU verbietet solche Bestimmungen grundsätzlich. Dennoch sieht Epiney auch Möglichkeiten für die Schweiz, Ausnahmen geltend zu machen, sofern ausreichende Rechtfertigungsgründe vorliegen.
Rechtfertigung der Anforderungen
Ein zentraler Punkt der Debatte ist die Verhältnismässigkeit der Anforderungen, die das KVG stellt. Während die Anforderungen an die Sprachkenntnisse und die dreijährige Praxiserfahrung als gerechtfertigt angesehen werden können, ist es laut Epiney wichtig, dass diese Anforderungen im Einklang mit dem allgemeinen Interesse an der öffentlichen Gesundheit stehen. „Es ergibt durchaus Sinn, dass Fachpersonen aus dem Ausland zunächst praktische Erfahrungen in einem Schweizer Spital sammeln, um die Besonderheiten des hiesigen Gesundheitssystems zu verstehen“, so Epiney.
Die Reaktion des Berufsverbands der Ärzte
Der Berufsverband der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) sieht hingegen keine grundsätzlichen Konflikte mit dem internationalen Recht. Sie argumentieren, dass das europäische Recht zwar Normen festlegt, jedoch nicht die nationalen Systeme der sozialen Sicherheit harmonisiert. Die FMH weist darauf hin, dass ein Wegfall von Artikel 37 KVG möglicherweise zu einer Versorgungsnotlage führen könnte, was die Bedeutung eines Abkommens mit der EU unterstreiche.
Ausblick: Zukünftige Entwicklungen
Die Diskussion um die medizinische Versorgung in der Schweiz und die Auswirkungen der neuen EU-Verträge wird weiterhin ein zentrales Thema bleiben. Obwohl die rechtlichen Konflikte zwischen dem KVG und der EU-Freizügigkeit bereits seit Jahren bestehen, haben sie bislang nicht zu einem Rechtsstreit geführt. Viele Experten wie Epiney bezweifeln, dass die EU eine solche Auseinandersetzung provozieren würde, insbesondere angesichts des Ärztemangels in einigen Mitgliedstaaten.
Fazit
Die Herausforderungen, die durch die neuen EU-Verträge im Kontext des Schweizer Gesundheitswesens entstehen, sind vielschichtig. Während sich einige Politiker und Experten Sorgen um die Patientensicherheit und die Kostenentwicklung machen, plädiert der Berufsverband der Ärzte für eine differenzierte Betrachtung der Thematik. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Debatte entwickeln wird und welche konkreten Schritte die Schweiz unternehmen wird, um die medizinische Versorgung in einem sich verändernden rechtlichen Rahmen zu sichern.